Wehe, eines der Mädchen würde aus der Reihe tanzen bei diesem „Lied des Friedens“! Sie würde getadelt werden vom Choreografen, gar bestraft von den Lehrern und Kulturfunktionären der Demokratischen Volksrepublik Korea.

In fetten Schriftzeichen, Gelb auf Rot, steht diese Parole unter diesen auf Synchronität dressierten kleinen Nordkoreanerinnen mit rotem Halstuch und Blume im Haar zur blauen Schuluniform zu lesen.

Nur die vierte von links unterscheidet sich minimal von den anderen sieben Pionierinnen: Auf ihren Beinchen gibt es zwei weiße, längliche Markierungen; die anderen haben jeweils nur eine solche, links wie rechts. Und die Tanzschuhchen der Besagten tragen beide vorn an der Kappe zwei weiße Punkte. Bei den anderen Mädchen gibt’s das nur bei einem Schuh, links wie rechts. Eine winzige individualistische Rhythmusstörung inmitten der Gleichschaltung auf diesem Propagandagemälde. Ansonsten sehen die kleinen Sängerinnen aus wie geklont.

So hat es zu sein für Nordkoreas Machthaber seit Generationen. So verlangt es der Kunststil im totalitärsten, nationalistischsten, sozialistischsten Staat der Erde seit 1948, zunächst unter dem Großen Führer Kim Il-Sung noch orthodox marxistisch-leninistisch. Sein Sohn und Nachfolger Kim Jong-il etablierte die autarke, das Land vom Rest der Welt abschottende Chuch’e-Ideologie. Sie verlangt eine absolutistische, auf totale Hingebung getrimmte Unterordnung des Volkes. Und dessen Sohn Kim Jong-Un betreibt das Dogma ohne Rücksicht auf Verluste mit perfider Perfektion als hirnwaschende Staatsreligion.

Die beißende Ironie, die Sun Mu, der Maler dieses plakativen „Lied des Friedens“-Bildes zwischen die Synchron-Gestik und den Kontrast der knalligen Farben legte, muss man herauslesen können. In einer Art, wie man alles als Subtext lesen und interpretieren muss, was mit Kunst in Diktaturen zu tun hat, als gefährlichen Spagat zwischen Anpassung und Subversivem.

So ähnlich sahen schon die Propagandabilder zur NS-Zeit aus, im Stalinismus der Sowjetzeit, nach dem Zweiten Weltkrieg in den sozialistischen Staaten und bis heute noch in China. Kunst hatte entweder als Idealisierung der Politik oder als symbolstarke Waffe gegen Feinde zu dienen. Und Kim Jong-Un, der vergötterte „Oberste Führer“ Nordkoreas, hat verfügt: „Kunst nur für sich selber ist unbrauchbar.“ Er beruft sich, sagt Sun Mu, gar auf Konfuzius, der um die 500 Jahre vor Christus geschrieben hatte: „Wer Frieden will, der rüste für den Krieg.“

Wir können uns in dieser außergewöhnlichen Ausstellung im Projektraum des Berliner Vereins Meinblau e.V. darüber amüsieren, sie sogar als Propaganda-Variante der Pop Art oder Street Art goutieren. Der Hintergrund jedoch ist bitterer politischer Ernst. Es sind Bilder über die Situation in einem geteilten, zerrissenen Land. Nordkorea–Südkorea. Und wir spüren eine noch weit krassere Parallele zur vor 33 Jahren überwundenen 40-jährigen Teilung Deutschlands.

Einst wurde der Maler, der hier ausstellt, an der Kunstschule in Pjöngjang akademisch ausgebildet zum traditionellen kommunistischen Propagandamaler. Auch seit ihm die Flucht in die Freiheit glückte, bedient er sich dieses Stils. Nicht zum Spaß und schon gar nicht zum Gaudi des (westlichen) Publikums. Er dreht den Spieß um und benutzt die Stilistik, die Farben, die Symbolik als seinen persönlichen Widerstand; macht daraus Konzeptkunst.

Einst als Propagandamaler ausgebildet: Sun Mu träumt von einem vereinten Korea
Er kann seinen echten Namen nicht nennen, gab sich das Pseudonym Sun Mu (auf Deutsch: Ohne Grenzen). Darin steckt seine große Sehnsucht nach einem politischen Wunder. Er träumt von einem vereinten Korea. Und weiß doch, wie naiv das ist angesichts der politischen Realität. Der fünfzigjährige Maler hat in Nordkorea Eltern und Angehörige. Er weiß, er wird sie wohl nie mehr wiedersehen. Im Staate des „Obersten Führers“ Kim Jong-Un herrscht Sippenhaft. Da ist es besser, als verschollen zu gelten. Oder am besten als tot.

Aber Sun Mu (oder wie immer er einstmals hieß) hat überlebt, als er in der großen Hungersnot Ende der Neunzigerjahre über den Tumen Gang, den wilden Grenzfluss nach China, floh, „mehr noch wegen des schrecklichen Hungers als aus Angst vor den Machthabern“, wie er erzählt. Völlig entkräftet hat er es geschafft, wurde barmherzig aufgenommen von Leuten der koreanischen Minderheit in China. Man versteckte ihn, aber er war nicht willkommen, zu gefährlich für seine Landsleute, die im Reich der Mitte selber bloß geduldet sind.

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/kunst/einst-propagandamaler-nordkoreas-heute-in-der-heimat-unerwuenscht-sun-mu-zeigt-bilder-in-berlin-projektraum-meinblau-li.378745?fbclid=IwAR02gxXFQPj0phxGIUPyHL_0WKN7C8W3w0siS7HNFxf_Qxact_nxJkbGbsw