Sein wahrer Name muss ebenso geheim bleiben wie sein Gesicht. Doch in seinen Bildern zeigt der einstige Propagandamaler Sun Mu aus Nordkorea, was ihm am Herzen liegt.

Von Anja Brandstäter, Wolfratshausen

Eine junge Polizistin in weißer Uniform mit blauer Krawatte blickt scharf nach rechts und regelt den Verkehr. Mit einem Knüppel in den koreanischen Farben Blau, Rot und Weiß zielt sie knapp am Betrachter vorbei. Der Hintergrund ist geteilt in eine rote und eine blaue Fläche. Die rote steht für das kommunistische Nordkorea, die blaue für das westlich geprägte Südkorea. Der Titel des Bildes: “Run”. Es findet sich auf der Einladungskarte zur Ausstellung “Grenzenlos” des nordkoreanischen Künstlers Sun Mu, zu der die Künstlervereinigung “Art 5” in Zusammenarbeit mit dem Kulturverein Isar Loisach (KIL) in den Wolfratshauser Kunstturm am Schwankl-Eck einlädt.

Derzeit arbeitet Sun Mu in Starnberg. Am 10. Januar kehrt er nach Südkorea zurück, wo er seit seiner Flucht lebt. Dass er seine Werke in Wolfratshausen zeigen kann, verdankt er den Kuratoren Cornelia Oßwald-Hoffmann, Alexander Steig und dem Bairawieser Jae-Hyun Yoo vom Verein “Art 5”, der sich für den Austausch zwischen Europa und Asien einsetzt. Mehr als 90 Werke sind im Kunstturm zu sehen, darunter poetische kleine Collagen aus Buntpapier, aber auch großformatige Ölgemälde auf Leinwand, die auf den ersten Blick wie eine Pop-Art-Variante von Propagandapostern der nordkoreanischen Arbeiterpartei wirken.

Vor einem gelben Hintergrund steht eine Reihe kleiner Mädchen, auch sie sind uniformiert: weiße Bluse, rotes Tuch, blauer Rock. Alle haben die gleiche kerzengerade Körperhaltung eingenommen und die Arme zur Seite ausgestreckt, eine rote Blume im Haar. Die Szene könnte aus den sogenannten “Mass Games” stammen, einer Art Massengymnastik, die in Nordkorea als Form der darstellenden Kunst gilt und einer stark reglementierten Choreografie folgt. “Ich habe als Kind da auch mitmachen dürfen und war sehr stolz, für das Staatsoberhaupt zu singen”, erzählt Sun Mu. Der Schriftzug am unteren Bildrand bedeutet “Wir wollen Frieden”. Um Frieden und die Wiedervereinigung der beiden koreanischen Länder dreht sich alles in den Werken des Künstlers, der aus Nordkorea geflohen ist und sich nichts sehnlicher wünscht als ein vereintes Korea.

Sun Mu wurde als Propagandamaler der Armee ausgebildet. Das habe er zunächst als gute Arbeit empfunden, sagt er. Die drastische Hungersnot in den 1990er-Jahren trieb ihn jedoch zur Flucht. Über China, Thailand und Laos gelangte er nach Südkorea. Ein Horrortrip, der tödlich hätte enden können. Heute lebt und arbeitet er in Seoul unter dem Pseudonym Sun Mu, was so viel wie “ohne Grenze” heißt, um seine Familie in Nordkorea zu schützen. Auch auf Fotos zeigt er sich nur vermummt. In Nordkorea gilt er als Landesverräter. In seinen Gemälden setzt er sich vor allem mit den unterschiedlichen Systemen der beiden koreanischen Staaten auseinander, was ihm bereits mehrmals die Zensur gemäß dem Gesetz der Nationalen Sicherheit in Südkorea einbrachte.

Ausstellung in Wolfratshausen: “Self Portrait.”Detailansicht öffnen
“Self Portrait.” (Foto: privat/oh)
“Ich wurde kommunistisch erzogen”, erzählt er. “Dazu gehörte auch ein zehnjähriger Militärdienst.” Nordkorea habe bereits zu dieser Zeit Atomwaffen entwickelt. “Die USA gelten als Hauptaggressor und Südkorea als deren Kolonie.” Zur gleichen Zeit leistete auf der anderen Seite der Grenze Jae-Hyun Yoo seinen Militärdienst ab, der in Südkorea 26 Monate dauert. Yoo war an der innerkoreanischen Grenze stationiert. “Wäre damals irgend etwas passiert, hätten wir gegeneinander kämpfen müssen”, sagt Yoo. “Wie absurd.” Heute stehen die beiden Männer nebeneinander im Wolfratshauser Kunstturm.

Getroffen haben sie sich erstmals 2008 in Korea. Jae-Hyun Yoo nahm dort zusammen mit seiner Frau Farida Heuck Interviews für eine Forschungsarbeit über den Grenzraum zwischen Nord- und Südkorea auf. Daraus ist ein Handbuch entstanden, das anlässlich der Ausstellung “Shared. Divided. United.” 2009 in Berlin veröffentlicht wurde. “Das Interview mit Sun Mu hat mich unglaublich berührt”, sagt Yoo. “Er war mutig, neugierig und selbstkritisch.” Schon zu diesem Zeitpunkt habe er den Wunsch gehabt, seine Werke in Deutschland zu zeigen.

Bereits vor vier Jahren organisierte er gemeinsam mit Alexander Steig eine Ausstellung auf dem Münchner Domagk-Gelände für Sun Mu. Thematisch schließt die Schau im Schwankl-Eck daran an. Der Vorschlag, Sun Mu zu zeigen, fand bei Daniela Satzinger vom KIL sofort offene Ohren. Ein Teil des Erlöses aus verkauften Bildern fließt an die örtliche Flüchtlingshilfe.

Die Ausstellung im Kunstturm wird am Freitag, 6. Januar, 19 Uhr, eröffnet. Infos zum Verein “Art 5 e.V” unter www.art5.eu